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Wettbewerb - 1. Stufe

Ein Gedenkort für die Verstorbenen der Schweizer Armee

Ausbildungszentrum Luzern, Luzern
2021

Die Aufgabe vom Wettbewerb Gedenkort der Schweizer Armee besteht darin, einen Gedenkort zu entwerfen, der mit einem würdigen, der Thematik angepassten Erscheinungsbild wahrgenommen wird und sich für verschiedene Nutzungen eignet. Diese werden sich einerseits im Rahmen militärischer Zeremonien abspielen, stehen andererseits aber auch für den individuellen Besuch offen, etwa von Angehörigen der Gewürdigten, Kameradinnen und Kameraden, weiteren Betroffenen oder Anteilnehmenden und auch Ruhesuchenden. Im Sinne eines Kollektivdenkmals soll ein symbolischer Ort des Respekts, der Dankbarkeit, des Andenkens und der Versöhnung entstehen. Aufgrund der regionalen Verankerung der Armee innerhalb der Schweiz liegt zudem ein Einbezug der Thematik der sprachlichen und kulturellen Vielfalt der Schweiz auf der Hand.“

Auszug aus dem Wettbewerbsprogramm vom 29.10.2020

Konzeptidee:

Im Morgengrauen vor dem Appell tref- fen sich die Züge im Daher. Die Stimmung ist sehr familiär. Die Soldaten werden über bevorstehende Übungen und den Tagesablauf informiert. Die Uniform wird kontrolliert und wo nötig justiert, bevor auf Kommando der gesamte Zug in die Appell-Formation im Sprung verschiebt.

Das Daher ist in der Schweizer Armee eine sehr verbreitete und mehrmals täglich verwendete Formationsform. Jeder, der Teil der Schweizer Armee ist oder war, hat in seinem Werdegang, unabhängig von Region, Religion und Rang, dieser Formation als aktiver Soldat beigewohnt. Bei der Bildung einer Formation wird dem Menschen bewusst, Teil einer raumbildenden Form zu sein. Verstirbt ein Mensch, wird der Formation ein Teil seiner Selbst entrissen. Der entstandene Anti- oder Negativraum wird von Spannungen beherrscht.

Das Projekt KINEMA befasst sich mit dieser Momentaufnahme. Der Moment, in dem die Menschen als Teil einer Formation das Bewusstsein erlangen, den Kameraden endgültig verloren zu haben. Der Verlust wird physisch und somit räumlich sichtbar. Die neue Situation muss zuerst akzeptiert werden können.

In dieser Momentaufnahme entsteht eine grosse Spannung. Der indoktri- nierte Wille die Formation wieder schliessen zu wollen, als physische hori- zontale Bewegung, prallt auf die durch den Verlust entstandene innere Starrheit. Um die Formation zu schliessen, wird sich jeder Soldat bewegen und einen neuen Platz in seiner Umgebung finden müssen. Die physische Umstellung kann sehr rasch passieren. Es wird aber unterschiedlich viel Zeit vergehen, bis die neue Formation von allen Soldaten verinnerlicht und akzeptiert werden kann.

Fragestellung:

Wie soll diese bewusstseinserweiternde Momentaufnahme festgehalten werden?

Ist eine monumentale Skulptur oder Plastik, welche die Daherformation darstellt, die richtige Antwort oder kann dieser Moment auch in einer abstrakteren Form erfahrbar gemacht werden?

Die physikalische Kraft, welche aufge- wendet werden muss um die Forma- tion wieder zu schliessen, ist von einer horizontalen Bewegung geprägt. Die Soldaten müssen sich seitlich bewegen um den offenen Raum wieder zu besetzen. Die innere Starrheit, welche sich aus dem Schock und der Trauer entwickelt hat, ist aber eine nicht gerichtete und sehr intime Kraft. Wie können diese Kräfte oder Vektoren dargestellt werden? Welche Mate- rialien und Formen eignen sich dafür? Welchen Faktor spielt die Zeit dabei?

Soll eine räumliche Verschiebung wahrgenommen werden oder soll be- wusst das fehlende Element, der Anti- oder Negativraum, dargestellt werden?

Können Gegensätze verwendet werden um dieser Spannung Ausdruck zu geben?

Und wie soll das Kunstwerk in diese so einfach und präzise gestaltete Land- schaft integriert werden? Teil davon zu werden, ohne diese gleich zu zerstören?

Gestaltungsprozess:

Der Prozess des Nachdenkens und der geistigen Entwicklung einer Gestaltungsform wird von Referenzen und Intuition geprägt. Die Frage der momenthaften Zeitlichkeit, der erstarrten Bewegung und des Fehlenden im Raum wurde bereits von zahlreichen Kunstschaffenden bearbeitet. Die Interpretation dieser ist ein Teil der Intuition.

John Everett Millais schafft es mit seinem Bild Ophelia die Momentaufnahme aus der Tragödie von Hamlet festzuhalten. Die graziöse Frau, welche auf einem Fluss treibt, kurz bevor sie ertrinkt.

Gertrude beschreibt die Szene wie folgt: Doch lange währt’ es nicht, Bis ihre Kleider, die sich schwer getrunken, Das arme Kind von ihren Melodien hin- unterzogen in den schlamm’gen Tod.

Der Negativraum wird durch das Element Wasser in Bewegung gesetzt. Die Was- serverdrängung als horizontale Kraft fliesst gen Abgrund. Es entsteht Bewegung. Das Fehlende wird sichtbar und erfahrbar.

Umsetzung:

Der Sinnesraum für die Gestaltung der momenthaften Zeitlichkeit, der erstarrten Bewegung und des Fehlenden im Raum befindet sich im Wasserbecken der Anlage. Dieser Ort wird als sinnliche Schwelle verstanden. Die Gegensätze, welche der Tod mit sich bringt, werden als Abstraktion sichtbar und erfahrbar.

Durch die Trennung des Wassers wird ein Antiraum geschaffen. Das Wasser fliesst zwischen zwei verkohlten Holzbohlen aus dem Becken. Ein Feuer wird für die Gedenkfeier der Verstorbenen in diesem Negativraum gelegt. Die Span- nung zwischen dem Feuer und der hori- zontal wirkenden Kraft des Wassers, das an die verkohlten Holzbohlen drückt, steht sinnbildlich für die beschriebene Spannung der offenen Daher-Formation. Nach der Trauer wird das Becken wieder komplett mit Wasser gefüllt und der tiefergelegene Negativraum überflutet.

Im Buch Designing Memory von Sabina Tanovic wird der Raum für trauernde Menschen wie folgt beschrieben: As a medium for externalization of memory, memorial spaces are achored in the past, dedicated to the present and directed towards the future. They aim to support the process of remembering…

Die prägenden Elemente der traditionellen Allmend bestimmen weiterhin die Landschaft und den Charakter des Ortes. Die unprätentiöse und sehr präzise Komposition un- terstützt an diesem Ort den Prozess der Erinnerung und Verarbeitung. Wie durch Beuys in seinem Werkstattgespräch erläutert, ist die soziale Plastik ein evolutionärer Prozess. Die Prozesse setzen sich gemäss Beuys fort: chemische Reaktionen, Gärungsprozesse, Farbverwandlungen, Fäulnis, Ausstockung. Alles wandelt sich.